Unter den Riesinnen

Peter Kozek

Unter den Riesinnen – Eröffnungsperformance kozek hörlonski. Foto: Daniel Jarosch

In der Schichte K2 fand sich laut Restaurierungsbefund, der vor dem Umbau der Räumlichkeiten in der Hofburg Innsbruck zur Neuen Galerie vom Denkmalamt vorgeschrieben wurde, Schweinfurter Grün aus dem Biedermeier: ein schöner, lichtechter, heller Grünton, dessen Pigmente aber hochgiftig sind, handelt es sich doch um eine Doppelsalzverbindung, die Kupfer und Arsen enthält. Ein Ausgangspunkt. Direkt über den ebenerdigen Räumlichkeiten befindet sich im zweiten Obergeschoß der Riesensaal mit den Portraits von Kaiserin Maria Theresia, ihrem Gatten und den vielen Kindern, mehr Mädchen als Jungen. Die Frauen beeindruckten damals im Barock wie heute mit ihren ausladenden Reifröcken. Unter den Riesinnen meint aber nicht nur unter dem Riesensaal mit den Damenportraits in ihren megavoluminösen Roben. Peter Kozek möchte den Künstlerinnen, die seine Vorbilder sind, Tribut zollen, sich in ihre Riege einordnen und sich ihnen durchaus auch humorvoll unterordnen. Seine Riesinnen sind u.a. Louise Bourgeois, Joan Jonas, Marina Abramovic, Friederike Mayröcker, Brigitte Kowanz und Jakob Lena Knebl. Der Künstler gräbt in seiner eigenen Biografie und seziert einem Archäologen oder Restaurator gleich seinen Werdegang. Arbeiten werden mehr als ein Dutzend Jahre nach ihrem Entstehen wieder aufgenommen und in einen erweiterten Kontext gestellt. Die partizipative XL-Serie Draw Me A Cat hat im Jahr 2016 neben einer subtilen psychischen Ebene auch an politischer Sprengkraft gewonnen und die Contributions to the Universal Memorybank / Gesänge deuten nicht nur vergleichbar mit Notationen die Nähe zur Musik an, sondern verweisen erneut auf den Barock, wo sich fast minimalistische Repetition und Opulenz, Wissenschaft und Mystik nicht ausschlossen. Peter Kozek verwebt ausgehend von der Spezifik des Ortes diese vielen Schichten zu einer Rauminstallation im „Total Look“, zu einem Gesamtkunstwerk, in dem seine langjährige Zusammenarbeit mit Thomas Hörl – das Performanceduo kozek hörlonski wurde 2003 gegründet – nicht fehlen darf. Die Relikte der Eröffnungsperformance SKANDALFRISUR, die Perücken aus dem Echthaar der beiden Künstler und die Kostüme, sind zentrale Objekte unter den Riesinnen.

Eröffnungsabend: Die Vernissagegäste finden sich ein. Die Galerie ist verschlossen. Einzig die 550 Katzenbilder, die für die Ausstellung von Künstlerkolleg_innen, Freund_innen, Menschen, die aktuell in der HERberge der Barmherzigen Schwestern in Innsbruck leben, sowie Personen, die sich ehrenamtlich um die Geflüchteten kümmern, und Peter Kozek selbst gezeichnet wurden, sind als Video im Schaufenster zu sehen. Katzen stehen für das Unbewusste, das Unheimliche, aber auch für Behaglichkeit und Niedlichkeit. Im Internet und v.a. in den sozialen Netzwerken sind sie das Gegenbild von Hasspostings geworden. Als nach den Anschlägen auf den Pariser Musikclub „Bataclan“ im November 2015 Terrorverdächtige in Brüssel vermutet wurden, bat die Exekutive die Bevölkerung die Nachforschungen nicht durch Postings von Einsätzen zu behindern bzw. den Tätern dadurch keine Hinweise zu liefern. Die Social-Media-Communities reagierten mit Katzenbildern darauf und posteten massenweise Katzen im Kampf gegen den Terror. Die unzähligen Assoziationen, die mit Katzen verbunden sind, werden in der Fülle der Zeichnungen deutlich.

Nach den Eröffnungsreden im Gang vor der Galerie wird ein Vorhang durchschnitten und gibt den Blick auf die Performer kozek hörlonski frei. Klein wie Kinder tragen sie riesige, an den Seiten ausladende Kleider, die an Las Meninas, die Hoffräulein, von Velázquez, aber auch die Portraits von Kaiserin Maria Theresia und ihren Töchtern im Riesensaal zwei Stockwerke über den Galerieräumen erinnern. Auf Knien schreiten sie dem Publikum entgegen. Die Perücken – Thomas Hörl trägt Peter Kozeks Haare und umgekehrt – werden gepudert und die Künstler betreten als erste die Ausstellung.
Die Wandgestaltung nimmt die Grafik der Roben auf. Die Wände sind in schwarze, weiße und graue Dreiecke unterteilt und dynamisieren die Raumflucht. Inspirationsquelle waren die barocke Illusionsmalerei im Allgemeinen und die Gestaltung des Fußbodens im Riesensaal im Besonderen. Im ersten Raum der Galerie hängt eine Auswahl an Katzenzeichnungen, die ebenfalls in Schwarz, Weiß und Grau gehalten sind. Zudem sind zwei Sockel mit Perückenköpfen, auf die nach dem Eröffnungsabend die Haartrachten von kozek hörlonski aufgebracht werden, platziert. Nimmt man einen bestimmten Blickwinkel ein, verschwinden die beiden Sockel scheinbar. Die sogenannte Anamorphose ist ein weiterer Rückgriff auf das Zeitalter des Barock. Mittels dieser Technik konnte und kann das Auge überlistet und Realität in Frage gestellt werden. Fast unsichtbar ist die Arbeit Cu(CH3COO)2 – 3 Cu(AsO2)2 im Durchgang zum nächsten Raum. Durch einen Türspion sieht man zwischen der vorgesetzten Galeriewand und der Hofburgmauer ein Fläschchen mit grünem Farbpigment. Ist es das giftige, in dem Restaurierungsbericht erwähnte Schweinfurter Grün? Jedenfalls ist es ein Hinweis auf die konkrete Geschichte der Räume, die nun die Neue Galerie beherbergen. In tiefere Schichten vorzudringen kann gefährlich sein.

Schicht um Schicht, Strich um Strich entstehen auch die Blätter Contributions to the Universal Memorybank / Gesänge. Im Gegensatz zu den Katzenbildern und ihrem partizipativen Ansatz handelt es sich bei dieser Serie von Zeichnungen mit Tinte um ein zurückgezogenes, fast meditatives Atelier-Projekt. An den Stellen, wo die Hand das Lineal aufs Papier hält oder die zeichnende Hand aufliegt, greift später die Tinte weniger. Es entstehen abstrakte, poetische Blätter, die so Peter Kozek „aussehen als würden ‚Geisterhände‘ über Instrumentensaiten streichen“. Wohlkomponiert interagieren sie mit der akkuraten Wandgestaltung.
Im letzten Raum ist das Boudoir, das Ankleidezimmer, untergebracht. Nach der Performance werden hier die Kostüme gezeigt. Allerdings wird das Unterste zu oberst gekehrt und die Paniers (frz. Körbe), die den ausladenden Roben Körper verleihen, hängen vor den Kleidern und überraschen als schwarz-weiße Raumzeichnungen.

Zurück zu den Riesinnen führt der Blick auf die tiefen Fensterbänke. Ein Gedicht, das Peter Kozek aus Textfragmenten über die Künstlerinnen, die ihm Vorbild sind, und Zitaten von den bewunderten Frauen arrangiert hat, ist mittels Farbpigmenten in die Übergangszone zwischen Innen und Außen gestreut. Was an dieser Stelle als eine flüchtige Anmerkung, eine Fußnote, gelesen werden könnte, ist in dem zur Ausstellug erschienen Leporello zentrales Sujet. Die kleine, aber feine Publikation funktioniert ähnlich vielschichtig wie die Schau. Es gibt sie in drei Varianten und es ist angedacht, dass sie vergleichbar mit einem Stickeralbum durch Abziehbilder mit Fotos und Texten ergänzt werden kann. Der Unterschied zum Sammelalbum ist der, dass individuell gestaltet werden darf.
Peter Kozek schafft mit Unter den Riesinnen eine dynamische Raumskulptur, die die multiplen Bezüge ausgehend vom Genius loci über die Reflexion der eigenen Künstlerbiografie bis hin zu tagesaktuellem, politischen Geschehen und zu Geschlechterfragen mittels der Wandbemalung schief zusammenfasst. Er schreibt eine offene Dramaturgie, die verschiedene Momente, Elemente, Versatzstücke, Materialien und Arbeitsweisen zusammenführt, und erzählt dadurch Geschichten im Raum.

 

Ingeborg Erhart

Ausstellungsbroschüre

Kuratiert von:
Ingeborg Erhart