Voyageurs

Sofia Dona

Ausstellungsansicht Foto: Daniel Jarosch

In ihrer Ausstellung Voyageurs untersucht Sofia Dona physische, geografische und ökologische Landschaften, um sie mit sozialen und politischen zu verbinden. Vogelflüge, Grenzübergänge, alternative Wege über die Berge und Autobahnen werden vorgestellt, um ein anderes Verständnis von Ankunft, Deportation und unfreiwilligen Reisen zu vermitteln.

Betritt man den Kunstpavillon, kommen in der zentralen Blickachse entweder ein LKW oder ein Schwarm Tauben auf einen zu. Der Weg zu der den hinteren Bereich füllenden Videoarbeit wird durch eine, wie ein Kartenhaus aus weißen Marmorplatten errichteten skulpturalen Intervention unterbrochen.
Die griechische, in Athen und Weimar ausgebildete Künstlerin und Architektin Sofia Dona untersucht in ihrer Ausstellung Voyageurs physische, geografische und ökologische Landschaften, um sie mit sozialen und politischen zu verbinden. Die gleichnamige Videoinstallation zeigt einen mitten auf dem flachen Land stehenden Lastkraftwagen, aus dessen Ladefläche sich zu beiden Seiten 3000 Tauben in die Luft erheben. In Zeitlupe abgespielt, wird der Moment der Freilassung ausgedehnt, ja zelebriert.
Es handelt sich bei den Vögeln um Reisetauben – eine Rasse trägt auch den Namen „Voyageur“, Reisende_r –, die oft hunderte Kilometer von ihrem Schlag entfernt freigelassen werden und deren Besitzer, meist ältere Männer, zu Hause auf die Heimkehr der Tiere warten. Das Vermögen heim zu finden ist erstaunlich und die Tauben orientieren sich, wie Zugvögel, am Magnetfeld der Erde. Sie sind nur in der Lage an den Ort zurückzukehren, an dem sie aufgezogen wurden. Oft werden bei dem Taubensport nationale Grenzen überwunden, Berge und das Meer hingegen sind auf den Rennstrecken nicht zu finden. Das Risiko zu viele Tiere zu verlieren wäre bei dem nicht geringen Preis der Tiere und in Anbetracht der Startgebühren zu groß. Das Video wurde in der Nähe des deutsch-polnischen Grenzorts Tantow aufgenommen. Ziel der Sporttauben ist das rund 290 km Luftlinie entfernte Hamburg. Auf einem kleinen Bildschirm ist im abgedunkelten, hinteren Bereich zudem die Arbeit Racing Homers zu sehen. In Nahaufnahme und noch stärker verlangsamt wie bei Voyageurs, sind Tauben beim Verlassen des Spezial-LKWs zu sehen. Unter ihren Flügeln sind einige der Tiere farbig markiert, damit die Besitzer sie schon von Ferne als die ihren erkennen können. Das durch den Flügelschlag erzeugte Geräusch gleicht fast einer Explosion. „Racing Homer“ ist eine moderne Sporttauben-Züchtung, die besonders schnell nach Hause kommt. Dass der antike Dichter Homer, dem die Odyssee, die berühmte Geschichte von der Irrfahrt des Odysseus, zugeschreiben wird, im Namen der Rasse vorkommt, ist eine Assoziation auf die Sofia Dona hinweist und die gleichzeitig ihre Herangehensweise verdeutlicht: die Verknüpfung von wissenschaftlicher Recherche, eigener Erfahrung und Gedanken sowie das Öffnen metaphorischer Ebenen. Auch die Schwarz-Weiß-Fotografie Bird Traps (Vogelfallen), die die Künstlerin auf der kleinen griechischen Insel Mathraki gemacht hat, und die im Halbdunkel mit Voyageurs und Racing Homers präsentiert wird, zeigt das. Für die Betrachter_innen ist die dramatische Ambivalenz der zwischen Bäumen gespannten Netze ohne das Wissen, dass das Eiland von nur 30 Personen bewohnt wird und auf eine lange Emigrationsgeschichte zurückblickt, sofort spürbar.
Die abstrakt, fast modernistisch anmutende Marmor-Struktur mit dem Titel Pigeon House (Taubenhaus) im Eingangsbereich schließt beziehungsweise öffnet die Erzählung rund um die früher als Nutztiere und heute vornehmlich zum Freizeitvergnügen gezüchteten Vögel. Auf der Kykladen-Insel Tinos wurden seit dem 13. Jahrhundert Tauben gezüchtet, einerseits wegen ihres Fleisches und andererseits, weil ihr Kot als Dünger verwendet wurde. An die 1000 Taubenhäuser, gebaut im 18. und 19. Jahrhundert, sind nach wie vor erhalten. Sie stellen mit ihren typisch dreieckigen Ein- und Ausflugsöffnungen zu den Nestern eine architektonische Besonderheit dar. Da auf Tinos auch Marmor abgebaut wird und die Marmor-Fachleute und Handwerker weithin bekannt sind, hat die Künstlerin Pigeon House mit einem Bildhauer auf Tinos umgesetzt.

Weniger poetisch und an ein Videospiel erinnernd ist die Installation Alternative Brennero im Seitenflügel des Ausstellungsraums, die auf neun unterschiedlichen, zu einer Wolke arrangierten Monitoren auf YouTube gefundene Filme von Privatpersonen zeigt, die mit Motorrädern die Alpen überqueren. Was die Amateure mit an Helmen oder Lenkern montierten Kameras aufnehmen und zum Teil mit Musik unterlegt im Netz teilen, sind Dokumente der reinen Lust am Fahren. Zweckungebunden werden Passstraßen „bezwungen“. Nicht immer spielt das Wetter mit. Der Titel Alternative Brennero ist dem Aufmacher eines Artikels in einem Tourismusmagazin entlehnt, der über besonders schöne Routen und Nord-Süd-Verbindungen abseits der Brenner-Strecke berichtet. Dass der Brenner nicht für alle Menschen eine Alternative darstellt, speziell nicht für jene, die aus dem Süden in Richtung Norden flüchten, ist nur einen Gedanken weit entfernt und schwingt in dem Titel genauso mit, wie die Transitproblematik.
Eine Schwarz-Weiß-Fotografie im selben Bereich des Kunstpavillons zeigt die Vergrößerung einer historischen Aufnahme der heutigen Autobahn A8 von München Richtung Süden zur österreichischen Grenze. Faux Plat nennt Sofia Dona den Blow-up eines Fotos aus dem Archiv des Landschaftsarchitekten Alwin Seifert, der in der NS-Zeit die sogenannte „Reichsautobahn“ geplant hat. „Faux-plat“ (frz. leicht ansteigend) ist ein Fachausdruck in der Landschaftsarchitektur, der einen Trick beschreibt, mit dem erzielt wird, dass eine Steigung beispielsweise durch langgezogene Kurven flach erscheint. Die einstige Reichsautobahn schmiegt sich auch sanft gekurvt ins bayrische Voralpenland und geht nicht nur um zu große Steilheit zu verhindern über weite Strecken nicht den direkten Weg. Es waren ästhetische Überlegungen in deren Zentrum  der pittoreske Ausblick auf die Alpen, der so ermöglicht wurde und wird, stand.

Wie auf der Wandarbeit Liberations and Arrivals, bei der Sofia Dona mittels Nägeln und gespannten Fäden die Flugrouten der mitteleuropäischen Wettkämpfe des Taubensportverbandes P.I.P.A. (Pigeon Paradise) im Juli 2019 nachzeichnet, verdichten sich die oft nur angedeuteten und so in der Vorstellung der Rezipient_innen evozierten Erzählungen in Voyageurs zu einem dichten Netz. Vogelflüge, Grenzübergänge, alternative Wege über die Berge und Autobahnen werden vorgestellt, um ein anderes Verständnis von Ankunft, Deportation und (un)freiwilligen Reisen zu vermitteln.

Ingeborg Erhart

 

Premierentage – Wege zu Kunst am Samstag, 09. November 2019
Finissage von 11.00 – 17.00
Artist Talk um 13.00 mit Andrei Siclodi

Dauer der Ausstellung: 06. September – 09. November 2019

Öffnungszeiten: Mi – Fr 11.00 – 18.00, Sa 11.00 – 15.00, an Feiertagen geschlossen

Führungen an Samstagen um 11.00 und 14.00
Termine: 14.09. und 12.10. 2019

Dank an: Anastasios Christodoulou, Stella Chronopoulou, Isidora Harbila, Claudia Nikos Karamanlis, Kyriacos Karseras, Elsa Kiourtsoglou, Leonidas Kourmadas, John Nikolopoulos PIPA (Pigeons Paradise), Thalia Raftopoulou, Mathieu Wellner, Claudia Wroński

 

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